Die geteilte Welt von Tordesillas
Warum sprechen die Menschen in Brasilien eigentlich portugiesisch, während die anderen südamerikanischen Länder Spanisch sprechen? Warum erstreckte sich im 16. Jahrhundert das spanische Seereich nach Westen und bis weit in den Osten nach den Philippinen, nicht jedoch nach Afrika oder Indien? Zufall? Vielleicht ein bisschen, aber es hatte auch durchaus etwas mit Fairplay zu tun. Denn die Welt war vor langer Zeit, an einem 7. Juni wie heute, geteilt worden, fein säuberlich wie mit einem Käsemesser. Das geschah im Jahre 1494 in der spanischen Stadt Tordesillas. Geteilt? Zwischen Christentum und Islam? Aber nein, die Teilung war durch den Papst erfolgt, der die Welt zwischen zwei katholischen Herrschern aufgeteilt hatte: Johann II. von Portugal und Ferdinand „der Katholische“ von Spanien.
Seit dem berühmten portugiesischen Prinzen Heinrich, genannt „der Seefahrer“, war das kleine atlantische Königreich an der Westküste der iberischen Halbinsel zu einer der führenden Seefahrernationen aufgestiegen. Die Umrundung Afrikas und die Etablierung fester Schiffahrtsrouten rund um das Kap der Guten Hoffnung war eine Leistung portugiesischer Abenteurer, wie etwa Vasco da Gama, der als erstes den Seeweg nach Indien meisterte. Bald entstanden rund um den schwarzen Kontinent befestigte Niederlassungen und der Handel mit Indien erblühte und bescherte dem kleinen Land ungeahnten Reichtum.
Bekanntlich geschah es aber in spanischem Auftrag, dass der Genuese Christoph Kolumbus die Westroute zu den „Gewürzinseln des Ostens“ suchte und so die Neue Welt entdeckte. Auch Spanien erlebte eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und kolonialer Machtentfaltung.
Beide Seiten hatten nun Interesse daran, ihre neuen Besitzungen nicht durch den Konkurrenten gefährdet zu sehen, und so geschah es auf Anraten Papst Alexanders VI., der einen Konflikt der im Glauben doch eigentlich vereinten Mächte verhindern wollte, dass man die Welt in zwei Interessensphären aufteilte, eine portugiesische und eine spanische. Die Trennungslinie verlief 1770 km westlich der Kapverdischen Inseln und im Osten bei den Molukken, den geheimnisvollen Inseln, „wo der Pfeffer wächst“.
Eine solche Aufteilung war aus heutiger Sicht natürlich eine ziemliche Zumutung für alle die Menschen, die gar nicht wussten, dass es Portugal oder Spanien überhaupt gab. Aber ohne die entsprechende Hybris ist noch kein Kolonialreich entstanden. Dass die Realität an einem Federstrich nicht haltmacht, das sollten die beiden Vertragspartner bald zu spüren bekommen, aber ein paar Spuren hat der „Vertrag von Tordesillas“ bis heute hinterlassen.